Saarbrücker Zeitung

Erschienen: 16./17.03.2002 / SZ (Ruth Müller)

Enfant terrible oder großer Sohn?

Annemay Regler-Repplinger schilderte das Leben von Gustav Regler aus Sicht der Familie

War er das Enfant terrible oder der große Sohn Merzigs? Einen Blick hinter die Kulissen Gustav Reglers gab dessen Nichte Annemay Regler-Repplinger im Museum Schloss Fellenberg in Merzig.

Merzig. Als Wanderer zwischen den Welten wurde der Merziger Dichter Gustav Regler zu Lebzeiten bezeichnet. Ein Leben ohne Koffer war für den rastlosen Poeten und seine jeweiligen Ehefrauen nicht denkbar. Das Vagabundenleben Reglers griff seine Nichte Annemay Regler-Repplinger bei einem zweistündigen literarischen Porträt auf, das sie im Museum Schloss Fellenberg präsentierte. Sie überraschte ihrer Zuhörer mit allerlei Gegenständen aus einem Koffer, die unmittelbaren Bezug zu Gustav Reglers Leben haben. Wie etwa die Postkarten von seinen diversen Weltreisen, die Zeichnungen seiner zweiten Ehefrau Mieke Vogeler, das Spielzeug seines verstorbenen Sohnes Dieter, eine Zeitung aus den Zeiten des Saarkampfes. Abgerundet wurde das Literatur-Porträt mit Textpassagen aus Briefen und dem autobiografisch gefärbten Bericht „Das Ohr des Malchus“. Reglers Leben einfach nur zu erzählen, ist auch kaum machbar. Zu umfangreich, zu abenteuerlich ist der Lebenslauf des bekannten Merzigers. Da bedurfte es schon der Einbeziehung der persönlichen Gegenstände, damit sich der Zuhörer ansatzweise ein Bild von all dem machen konnte, was Reglers Welt ausmachte. Doch was waren seine Welten? Da gibt es seine saarländische Heimat, das ferne Mexiko, die Weltstädte Paris, Moskau, London und Rom. Nicht zu vergessen seine geistigen Welten, insbesondere die Pole Katholizismus und Kommunismus.
„Geboren 1898, ist das Leben für Gustav Regler von früher Jugend an verwirrend gewesen“, glaubt Regler-Repplinger. Sie gibt die interessante Biografie des Onkels in Kurzform wieder und geht auch auf die Sprünge ein. Im jugendlichen Alter, fast noch ein Knabe, trug Regler die kaiserliche Uniform im ersten Weltkrieg. Als Student trat er zunächst in den Bund deutsch-nationaler Studenten ein, wechselte dann zu den Linken, später wurde er Mitglied der kommunistischen Partei im Kampf gegen Hitler, bevor er sich im Saarkampf engagierte. Es folgte die Ausbürgerung. Er lebte als Exilant in Paris, war dann politsicher Kommissar bei der internationalen Brigade im Krieg gegen Franco. Die Flucht aus Europa war unvermeidlich. Das einzige Land, das ihm die Staatsbürgerschaft anbot, war Mexiko. „Auf Dauer war ihm die Diaspora, fern ab seiner Sprachheimat, zu langweilig. Immer wieder war er nach dem Krieg in Europa und sogar in Deutschland gewesen, unternahm auch Reisen in den Libanon und nach Indien, wo er 1963 starb“, dokumentierte die Nichte mit ihren zahlreichen Postkarten.
Geboren am 25. Mai 1898 wuchs Regler in einem Elternhaus auf, in dem religiöse Riten die Erziehung bestimmten. Zum Beweis hält Regler-Repplinger eine Fronleichsnamsvase hoch, mitgebrachte Gedichtsbücher Helene Reglers, Gustavs Mutter, dokumentieren, dass der Schriftsteller auch durch die elterlichen Gene für seinen späteren Beruf geprägt war. Zwei von Regler-Repplingers verlesene Briefe von Reglers erster Schwiegermutter Johanna Dietze an Reglers Mutter und von seiner ersten Ehefrau Lotte an die Schwiegermutter gewähren Einblicke in seine erste Ehe, die 1926 geschieden wurde. Aus Liebe sei Regler als „Lehrling“ in das Warenhaus des Schwiegervaters eingetreten, ein Beruf, der dem Literaturbegeisterten gar nicht lag.
Annemay Regler-Repplinger zieht einen weiteren Gegenstand aus dem Koffer: Eine Zeichnung von Mieke Vogeler, der zweiten Ehefrau Reglers, die sich im mexikanischen Exil als Malerin und Illustratorin von Lyrikbänden betätigte, bevor sie 1945 an Krebs starb. „1942 war Sohn Dieter nach einer Fehlbehandlung mit 19 Jahren gestorben, hinzu kam ein wirtschaftlich hartes Leben in dieser Zeit“, berichtete die Nichte. Sie zeigt einen Prospekt eines Hotels, das ihr Onkel zusammen mit seiner dritten Frau Peggy in den 50er Jahren in Atongo bewirtschaftete „Keine Arbeit war ihm zu schwer, die Familie und ihr Überleben waren ihm wichtig“ Erst 1958 erreicht Regler seinen internationalen Durchbruch als Schriftsteller mit dem Ohr des Malchus, das in mehreren Sprach erscheint.
1960 verleiht ihm das Saarland den Kunstpreis der Literatur. „Gustav Regler war stolz auf diesen Anerkennung und hat sie als Aussöhnung verstanden“, wertet die Nichte die Auszeichnung aus ihrer Sicht. „Für manche ist er das Enfant terrible, für andere der große Sohn Merzigs“, resümiert sie. Dennoch denkt Annemay Regler-Repplinger, dass sich das Verhältnis zwischen den Saarländern zu Regler nach dessen Tod entspannt habe. „Der Gustav Regler-Preis, der Gustav Regler-Platz in Merzig und etliche öffentliche Ausstellungen seit 1978 sprechen sicherlich für diese Stadt“.