Saarbrücker Zeitung
Erschienen: 04.06.2004 / SZ (Ruth Müller)
Der Bach und das Leben
FOTOGRAFISCH-LITERARISCHER DISKURS
Für ihre Collagen hat Annemay Regler-Repplinger die Medienlandschaft nach Zeitungsausschnitten durchforstet. Sie sind zurzeit in der Fellenbergmühle Merzig zu sehen und greifen aktuelle Themen auf.
Merzig. Mit Fotos und Collagen wagt Annemay Regler-Repplinger in ihrer aktuellen Ausstellung einen fotografisch-literarischen Diskurs zwischen dem Merziger Seffersbach, dem Literaten Gustav Regler und der heutigen Gesellschaft. Ihre nachdenklichen, teils ironischen Werke sind bis zum
18. Juni, täglich 14 bis 18 Uhr, in der Fellenbergmühle in Merzig bei freiem Eintritt zu sehen.
Der Diskurs zwischen den drei Ebenen Mühlbach, Regler und Gesellschaft erscheint auf den ersten Blick bemüht, doch bei näherem Hinsehen ist er an sich nur logisch. Denn der Merziger Seffersbach ist bei Regler in die Literatur eingegangen durch seinen autobiografischen Roman „Das Ohr des Malchus“. Der dort angebliche vergrabene Schatz, der notorische Säufer, der in einer verfallenen Mühle lebte, all die Lügen, Enttäuschungen und Schrecken einer Kindheit schildert der Merziger Schriftsteller in seinem Lebensbericht. Diese Themenwelt hat seine Nichte Annemay Regler-Repplinger zunächst fotografisch in aktuellen Aufnahmen des Seffersbaches aufgegriffen. Durch die Collagen hat sie noch eine andere Wertigkeit in die Ausstellung gebracht, die sich mit dem gesamten Leben und Werk von Gustav Regler auseinander setzt. Die Collagen verbinden zudem über verwandte Themen Vergangenheit und Gegenwart. Kriege, Widerstand, Saarkampf, Exil, Hungersnöte, Glaubenskämpfe und Arbeitslosigkeit werden, um einige Bespiele zu nennen, in freier Assoziation zu einer Gesellschaftschronik verarbeitet.
Für ihre Collagen hat Regler-Repplinger über einen längeren Zeitrum die deutsche Medienlandschaft nach passenden Zeitungsausschnitten durchforstet. Die Titel der Fotos und Collagen wie etwa „Blutige Märchen“, „Der Versöhnungstag“ oder „Ende des Kinderliedes“ sind Sinn gebende Kapitelzeilen, die aus den Werken Gustav Reglers entliehen wurden. Der Blick richtet sich beim „Versöhnungstag“ auf den Seffersbach und die Kreuzbergkapelle. Die dazu gehörende Collage greift Toleranz und Intoleranz auf, Kopftuchverbot, Wider das Vergessen oder den Kniefall von Warschau. „Hungerwinter und Hitzesommer“ bildet Enten im Müll des Seffersbaches ab, die Collage zeigt Hungerende im Reich, die Fettleibigen von heute, genveränderte Lebensmittel und setzt sich mit BSE und Vogelpest auseinander.
Die Ausstellung trägt den Titel „Oh Bächlein sprich, wohin“, entlehnt dem Lied von Wilhelm Müller, und ist programmatisch für die Ausstellung. Denn frisch und wunderhell rauscht der Bach aus der Quelle, sucht sich seinen Weg, und der Beobachter wandert erwartungsvoll dem Bach nach einem unbekannten Ziel entgegen. Auch die Verszeilen Reglers aus dem Gedichtband „Der Turm“, die in der Ausstellung auf Fahne zu sehen sind, appellieren: „Wer aufbricht, stündlich, von sich selbst, hat sein Heim gefunden“.
Neue Wege beschreiten zu neuen Ufern, das ist Kernaussage der Ausstellung, und dazu ist auch ein kritisches Hinterfragen der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation notwendig. Und in der Fellenbergmühle hat der Betrachter reichlich Gelegenheit dazu. Das Victory-Zeichen der Topmanager vor Gericht, die aktuellen Reformen. Auswüchse der Spaßgesellschaft – die Auswahl der Themen lässt die Besucher nicht unberührt, denn Regler-Repplinger hält eine großen Spiegel vor. Nur manche, wie etwa die Abzockemanager, werden sich in dem Stück Glas nicht wiederfinden. Denn Vampire haben kein Spielbild